Die Billig-Lüge

Deutschland ereifert sich heute darüber, dass der Discounter Lidl seine Mitarbeiter mit Kameras und Detektiven überwachen ließ. Das sind allerdings nicht wirklich Neuigkeiten. Wer zum Beispiel das Buch „Die Billig-Lüge“ von Franz Kotteder gelesen hat, konnte schon vor Jahren wissen, wie es im Discount zugeht. Weil es so schön passt, schiebe ich aus aktuellem Anlass eine Buchbesprechung ein.

Der Überwachung, Knechtung und Schikane der Mitarbeiter bei Discountern widmet Kotteder zwei Kapitel seines Buches. Man braucht noch nichtmal teure Technik oder Detektive. Auch mit ganz simplen Mitteln kann man die Mitarbeiter im Blick behalten. Zum Beispiel, indem man das Büro des Filialleiters strategisch günstig etwas erhöht an einem Ende des Marktes platziert und mit Panoramascheiben verglast.

Kotteder identifiziert dünne Personaldecke, unbezahlte Mehrarbeit, Kontrolle und Schikane als Säulen des Discounts. Mitarbeiter haben oft nichtmal Zeit, um aufs Klo zu gehen, weil sie niemand an der Kasse ablöst. Technisch wird kontrolliert, wieviele Artikel pro Minute die Kassiererin über den Scanner zieht. Wenn ein Kunde lange zum Bezahlen braucht, weil er unbedingt passend zahlen will, dann leidet unmittelbar die Kassiererin darunter, weil ihr das den Scanner-Schnitt kaputtmacht. Gleichzeitig erwartet man von ihr, dass sie jeden Einkaufswagen kontrolliert, ob irgendwo Waren versteckt sind. Beides zusammen, Scanner-Schnitt und genaue Kontrolle, ist menschlich gar nicht möglich.Taschen, Spinde, sogar die Autos – es gibt keine Tabuzonen, deren regelmäßige Durchsuchung einige Marktleiter sich nicht herausnehmen.

Alle diese Instrumente lassen sich auch verwenden, um missliebige Mitarbeiter loszuwerden. Beispielsweise kann man jemandem eine Abmahnung anflicken, indem man einen „Testwagen fährt“, wo dann z.B. bei den Eiern ein Parfum versteckt ist. Es gab auch schon folgendes: Mitarbeiterinnen wurde vorgeblich gestohlene Ware untergeschoben, und die Frauen anschließend so lange im Büro des Marktleiters lautstark psychisch unter Druck gesetzt, bis sie freiwillig ihre eigene Kündigung und eine teure „Wiedergutmachungserklärung“ unterschrieben.

Jeder soll für sich selbst entscheiden, ob er solche Methoden durch seinen Einkauf beim Discounter unterstützt.

Kotteders Buch ist ein Rundumschlag gegen den Billig-Kult. Er kommt allerdings manchmal von Hölzchen auf Stöckchen. Massentierhaltung und das Schicksal chinesischer Näherinnen sind ja zum Beispiel keine Probleme, die sich allein durch den Discount erklären. Überhaupt habe ich das Gefühl, dass sein Buch im Grunde zu kurz greift: Die Probleme, über die er schreibt, gibt es in vielleicht etwas abgeschwächter Form nicht nur im Discount, sondern beispielsweise auch eine Stufe höher im „konventionellen“ Einzelhandel, wen ich das mal so nennen darf. Der Discount ist bloß das extremste Beispiel. Knechtung von Lieferanten praktizieren aber beispielsweise auch Edeka und andere bis zur Perfektion. Ich selber habe das Buch seinerzeit auf dem Bücherbord im Büro eines Kunden gefunden, der selber ganz gut darin ist, uns noch ein Prozent und noch ein Prozent abzuquetschen. Er selbst kriegt wiederum Druck von der Edeka und REWE. Nach oben buckelt und nach unten tritt er…

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2 Antworten zu Die Billig-Lüge

  1. Peter sagt:

    Hallo, danke für die Rezension, der ich mich nur anschließen kann (ich schreibe grad an meiner eigenen Buchbesprechung dazu) – das Buch ist leider nicht ganz so gut wie das Thema es erfordern würde… Zu den Discountern gibt es ja viel Negatives zu sagen (z.B. http://konsumpf.de/?p=144), ich kaufe da schon seit längerem nichts mehr ein.

  2. Die Ausgabe 2013 beinhaltet in meinen Augen alle relevanten Positionen zum Thema „Billig kommt uns teuer zu stehen“. Gerade das letzte Kapitel: „Raus aus dem System“ beinhaltet Ansätze die Veränderungen herbei führen können.

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