Domino

Eine eher uncoole Art sein Leben zu beenden: Völlig high von einer Ãœberdosis Fentanyl in der Badewanne ertrinken. Wobei – wenn man ein Gerichtsverfahren wegen Drogenhandel mit Aussicht auf 10 Jahre Haftstrafe am Hintern hat, ist Fentanyl im Blut vielleicht nicht die schlechteste Alternative. Dachte sich wahrscheinlich auch Domino Harvey, als sie am 27. Juni 2005 in Los Angeles ihre Badewanne bestieg. Ende, aus, vorbei. So dermaßen in die Scheiße geritten hatte sie sich im Grunde schon viele Jahre zuvor. Eigentlich kam sie ja aus recht gutem Hause, sie hatte einen berühmten Vater, den Schauspieler Laurence Harvey. Half aber nichts. Sie war jung und wusste mit ihrem Leben nicht recht was anzufangen. Was macht man in so einer Lage? Richtig, man wird Studentin. Wenn man etwas härter drauf ist wird man Kopfgeldjägerin. Domino Harvey hatte sich für letztere Option entschieden.

Als Frau mit so einem Beruf fällt man auf. Schon Anfang der 90er Jahre wurde Regisseur Tony Scott (hat u.a. "Top Gun" und den "Staatsfeind Nr. 1" verbrochen) auf sie aufmerksam. Ihm hat sie die Filmrechte an ihrem Leben verkauft. Mindestens ein Dutzend Drehbuchautoren hat Scott im Laufe der Jahre daran verschlissen, bis dann 2004 unter dem Titel "Domino" das verfilmt wurde, was Richard Kelly als Script ablieferte. Ja, richtig. Da lebte die echte Domino Harvey noch. Sie hat noch als Beraterin am Film mitgearbeitet, einen Soundtrack eingesungen und fühlte sich nach eigener Aussage "gut porträtiert".

Ich mag solche Geschichten. Deshalb war ich dem Streifen von Anfang an positiv gegenüber eingestellt und bin es noch immer. Leute, die was von der Sache verstehen haben ihn überwiegend übelst verrissen. Das liegt sowohl am Drehbuch als auch besonders an der technischen Umsetzung. Das Script orientiert sich nur locker am Leben der echten Domino, und entspinnt stattdessen eine Tragödie geriechischen Ausmaßes um die Helden der Kopfgeldjägergruppe, in der es um 10 Millionen geklaute Dollar, die Mafia, eine Reality-TV-Show, das FBI und ein schwerkrankes Kind geht. Eigentlich ist es ja ein Film über ein freies Afghanistan… Klingt konfus? Ist auch so, denn die Story verläuft stark nichtlinear. Erst gegen Ende gehen die Puzzlestücke zusammen, was aber meiner Meinung nach nicht wirklich schlecht ist. Schlimmer sind da schon eine ganze Reihe von Plotholes. Vermutlich in Anspielung auf Dominos Dialogzeile "ich hatte das Beverly-Hills-90210-Leben satt" kam jemand auf die glorreiche Idee, ein paar Schauspieler der gleichnamigen Serie auszugraben und sich selbst spielen zu lassen. Irgendeinen storytechnischen Zweck erfüllen diese Jungs nicht. Die ganze Sinnlosigkeit dieses Handlungsfadens wird kurz vor dem großen Finale deutlich, als ein Hotelbesitzer mit Dreck am Stecken, dessen Hotel gleich gesprengt werden wird, zu Protokoll gibt: "VIP-Geiseln? Wie schön!" und die 90210er kommentarlos in einen Fahrstuhl setzt, weil sie sonst nur der folgenden Schießerei im Wege stehen würden. Ãœber kleinere handwerkliche Fehler sehen wir mal drüber weg. Jedenfalls weiß sogar ich, dass man mit zwei Sturmgewehren am Mann (an der Frau, Verzeihung) nicht scheinbar völlig rückstoßfrei aus der Hüfte Dauerfeuer schießen kann. Ebenfalls völlig sinnlos ist das Versatzstückchen "Reality-TV mit Kopfgeldjägern". Es taugt allenfalls als Comic Relief, weil das Filmteam lauter Dilletanten sind, und zur unnötigen Sprengung eines Busses. Stichwort Humor, es gibt ihn selten, und wenn dann eher "gewollt und nicht gekonnt". Vielleicht ist er auch so schwarz, dass selbst ich ihn nicht erkenne. Folgendes soll wahrscheinlich lustig sein: Aus Gründen, die sich mir nicht erschließen (ein Handy-Funkloch???), kommen die Kopfgeldjäger auf die Idee, einem Menschen den Arm zu amputieren, weil darauf die Kombination für einen Tresor eintätowiert ist, der eigentlich ein Gefrierschrank ist und an dessen Inhalt sie gerne kommen würden. Warum sie nicht einfach den kompletten Menschen mit Arm vor die Kühltruhe zerren, bleibt das Geheimnis des Regisseurs.

Und ich kann mir bildlich Tony Scott und seinen Schreiberling Kelly vorstellen, wie sie über dem Script brüten und sich sagen "Hmm, wir haben Keira Knightley als Domino, wir brauchen nackte Haut". Und so kommt es, dass Frau Knightley sinnloserweise einen Lapdance performen muss, um sich und ihre Kollegen aus den Fängen einer Horde Schläger zu befreien. Oder auch: Unsere Helden sind völlig high von Meskalin in der Wüste gestrandet. "Jetzt ist die Zeit für eine Nacktszene!" muss sich da jemand gedacht haben. Yeah, right. Meskalin ist ein gutes Stichwort. Ich bin mir sicher, wenn man nur genügend Interpretationswillen mitbringt, kann man mit Drogen einiges erklären. Zum Beispiel auch den nichtlinearen Plot. Domino, die ihre Geschichte quasi einer FBI-Psychologin (eine elende Nebenrolle, gespielt von der dazu völlig überqualifizierten Lucy Liu) erzählt, bringt einfach an entscheidenden Stellen keinen kohärenten Gedanken zustande. Ãœberhaupt – der ganze Film sieht aus wie auf Droge. Tony Scott hat es echt auf die Spitze getrieben. Es gibt fast keine Szene, die nicht bis zum Zerreißen nachbearbeitet wurde. Völlig overstyled, mit surrealer Farbgebung, seltsamen Toneffekten, Zoom-in, Zoom-out, Schnitt, Schnitt und noch ein Schnitt. Auf den Film sollte man außerdem mal einen Experten für religiöse Motive und Symbolik von Goldfischen ansetzen. Ich bin sicher, da lässt sich was draus machen.

Hab ich schon erwähnt, dass ich den Film trotzdem mag? Wegen seiner Geschichte, seinen Fehlern, und wahrscheinlich wegen Keira Knightley, die ihre Sache wirklich gut macht und den Film über die 2 Stunden rettet. Ich warte jetzt darauf, dass Hollywoods Verwertungsmaschinerie den Streifen auf DVD rausbringt.

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