Heute schärfen wir mal wieder das technologische Profil dieses Blogs. Wir steigen in Details der Signalisierung auf der Digital Subscriber Line (DSL) und der DSL-Technik der Deutschen Telekom ein.
Wenn in einem durch Outdoor-DSLAM versorgten Gebiet auch DSL-Anschlüsse aus der weit entfernten Vermittlungsstelle geschaltet sind, oder sogar Konkurrenzunternehmen auf den längeren Anschlussleitungen operieren, dann muss ein Outdoor-DSLAM auf seinen Anschlüssen im Downstream die Sendeleistung reduzieren, damit er die durch geringen Signal-Rauschabstand gestraften DSL-Leitungen aus der Vermittlungsstelle nicht durch Übersprechen seiner starken Signale stört. Man nennt dies Downstream Power Back Off oder kurz DPBO. Die Bundesnetzagentur setzt die die DPBO-Verwendung auch knallhart durch. Noch im Sommer 2008 mussten in Deutschland ganze Outdoor-DSLAM-Netze abgeschaltet werden, weil die DSLAMs DPBO nicht unterstützten und die Industrie keine neue Firmware liefern konnte.
In der Theorie funktioniert DPBO wie folgt: Es wird rechnerisch ermittelt, welche DMT-Töne an einem aus der Vermittlungsstelle versorgten DSL-Anschluss, der sich genau im Outdoor-DSLAM befindet, noch nutzbar sind. Bis zu dieser Grenzfrequenz werden die DMT-Töne des Downstreams vom DSLAM stark bedämpft, so dass sie während der Synchronisationsphase der Modems nicht oder nur schwach belegt werden. In der Praxis geht es teilweise etwas anders, wie wir nachher anhand eines echten Anschlusses sehen werden.
Das DPBO an den Outdoor-DSLAMs wird von der Telekom aggressiv genutzt, um neue Modems unter das Volk zu jubeln. Ich habe selber erlebt, dass ein Vertriebler sagte "um Ihnen schnelleres DSL zu ermöglichen, hat die Telekom eine Technik [das DPBO] entwickelt. Sie brauchen daher ein neues Modem von der Telekom, weil nur unsere Geräte diese Technik unterstützen". Diese Aussage ist gequirlte Scheiße. Tatsache ist: Da der Outdoor-DSLAM möglicherweise große Teile des ADSL1-Frequenzbereichs wegen DPBO nicht nutzen kann, werden am Outdoor auch DSL 2000 und 6000 in ADSL2 geschaltet. Der Outdoor kann daher mit dem größten Teil des Downstream in den nur von ADSL2 genutzten Frequenzbereich zwischen 1,1 und 2,2 MHz ausweichen. Man braucht also zumindest ein ADSL2 -fähiges Modem. Ich will nicht ausschließen, dass es ADSL2 -Modems gibt, die mit DPBO ums Verrecken nicht klarkommen. Mein von Versatel geliefertes Sphairon AR860E1-B läuft aber jedenfalls am DPBO-DSL6000 ganz prima.
Das hier war die Situation mit der alten Leitung. Zu sehen ist ein T-DSL1000-Anschluss, versorgt aus einer ca. 4,5 km entfernten Vermittlungsstelle. Der DSLAM ist übrigens eine recht alte Siemens-Bauart. Durch ratenadaptive Schaltung, die ja bei der Telekom vielleicht in 2010 kommen soll, wäre vielleicht noch ein bisschen was zu holen gewesen, aber die Leitung ist insgesamt doch ziemlich am Ende des technisch machbaren. Was man hier auch sieht ist ein Bug in der Firmware des Sphairon-Modems: Die Messdaten zum Upstream werden nicht oder falsch angezeigt.
Das zweite Bildchen ist eine echte Rarität: Zu sehen ist ein DSL-1000-Anschluss an einem Outdoor-DSLAM. Sowas gibts normal gar nicht. Etwa eine Woche wurde unser Anschluss so betrieben, bevor die Produktänderung auf DSL 6000 in Kraft trat. Die Leitung zum DSLAM ist nur noch ca. 600 Meter lang und messtechnisch für DSL 14000 gut. Hier kommen wir zu einem kleinen schmutzigen Geheimnis von DPBO: Durch die Kastration des ADSL1-Bereichs wird man am Outdoor-DSLAM nie volles DSL 16000 bekommen können, selbst wenn der Anschluss direkt im DSLAM läge. Diese bandbreitenstarken Frequenzen fehlen ganz einfach, so dass wie bei mir nur maximal 12-14000 drinsitzen. Man sieht auf dem Bild bereits das DPBO in Action: Die Modems sind mit dem Downstream vollständig in den ADSL2-Bereich gegangen. Da aber nur DSL 1000 zustande gebracht werden muss, besteht kein Stress, möglichst viele Bits auf einen Träger zu quetschen.
Jetzt das DSL 6000. Mit Masse liegt der Upstream wieder im ADSL2-Bereich, die Träger sind dort maximal belegt. Zusätzlich wird interessanterweise der untere ADSL1-Bereich schwach belegt. Der DSLAM fährt hier eine DPBO-Strategie, die nicht der reinen Lehre entspricht. Der ADSL1-Bereich hört bei Träger 256 auf. Mein DSLAM steigt aber erst bei Träger 320 wieder voll ein. Nach Lehrbuch würde man sagen, dass in unserem Versorgungsgebiet insbesondere DSL 1000-Kunden, arme 384er Tröpfe und ein paar Glückliche, bei denen DSL 1500 funktioniert, zu schützen sind. Irgendwo bei 176 dürfte der letzte nutzbare Träger liegen. Oberhalb davon könnte der Outdoor volle Power auf das Kabel legen. Stattdessen hält er den oberen Frequenzbereich frei. Das könnte Sinn machen, wenn es im Versorgungsgebiet Kunden mit schnellen DSL-Anschlüssen geben würde. Damit bei denen ihr DSL 6000 funktioniert, wären sie auf die hohen ADSL1-Frequenzen angewiesen. Im niedrigen Bereich wäre der Signal-Rauschabstand wohl noch so gut, dass auch ein dort stark übersprechender Outdoor-DSLAM nicht entscheidend stört. Whatever. Ich nehme das einfach mal verwundert zur Kenntnis.
Update 15.8.2010
Inzwischen wurde der selbe Anschluss ein weiteres Mal geändert. Es läuft jetzt DSL 16000, bzw. DPBO-bedingt "DSL14000", da die bandbreitenstarken Frequenzen am Outdoor wie schon gesagt nicht so recht nutzbar sind. DIe Sache sieht jetzt so aus:
Wieder ist der DSLAM kein Kind von Traurigkeit, er nutzt die unteren ADSL-Frequenzen verhältnismäßig stark, wenn auch gedeckelt. Hier kann man diskutieren, ob durch dieses Sendeverhalten die ADSL-Teilnehmer wirklich in sinnvoller Weise geschützt werden, denn sie sind vor allen Dingen auf diesen niedrigen Bereich angewiesen. Letztlich dürfte die Deckelung entscheidend sein, denn der ADSL2-Anschluss verhält sich dadurch zumindest nicht schlimmer als ein ADSL-Anschluss auf der Nachbarleitung. Das Schutzziel darf daher als erreicht gelten. Die empfindlichsten Frequenzen um den Träger 256 werden fast gar nicht belegt, danach fährt er die Sendeleistung langsam wieder hoch, um dann jenseits des Trägers 416 selbst an die Grenzen der Telefonleitung zu stoßen.
Zusammen mit dem neuen Anschluss bin ich übrigens auch an einen neuen Broadband Remote Access Server (BRAS) angeschlossen worden. Es meldet sich als Gegenstelle jetzt der "MESC01-10k", also eine 10008 von Cisco. Nach den beiden Juniper-Geräten MESX11-erx und MESX41-erx ist das jetzt der dritte BRAS, an dem mein Anschluss zu hängen kommt. Mal gucken ob die Cisco was taugt. Ich habe da Schauergeschichten bezüglich IPv6 gehört…
Der Chipsatz im DSLAM ist von Broadcom. Nur am Rande sei vermerkt, dass das AR860 irgendwoher eine Reputation hat, an Broadcom-Chipsätzen besonders gut zu funktionieren. Als Outdoor-DSLAM kommt Ericsson EDA zum Einsatz. EDA (steht für Ethernet DSL Access) war einst die Allzweckwaffe der Telekom für Outdoor-DSLAMs und kam in HYTAS-Glasfasergebieten reichlich zum Einsatz, ebenso wie in reinen Kupfergebieten wie es auch das Gewerbegebiet Enste ist. EDA ist für einen DSLAM etwas ungewöhnlich gebaut, da sie stark dezentralisiert werden kann. Die Linecard EDN312x mit 12 Ports ist bereits ein vollständiger DSLAM. Sie bringt genug Intelligenz mit, um die ATM-Strecke selbst zu terminieren und die Daten auf 100 Mbit Ethernet umzusetzen. Das ATM muss nicht wie früher üblich bis zum Konzentrator durchgeschleift werden. Es handelt sich also um einen IP-DSLAM. Da 12 Ports ein wenig wenig sind wird im Outdoor-Gehäuse typischerweise ein Switch ESN108 miteingebaut. Damit kann der Outdoor-DSLAM modular auf bis zu 96 Ports wachsen. Der Switch setzt auf Glasfaser um und versorgt die Linecards auch per Power over Ethernet mit Strom. Meist an einer zentralen Stelle kann ein Ethernet Controller Node (ECN) zum Einsatz kommen. Er bündelt den Datenverkehr der Switches und hat darüber hinaus den Vorteil, dass alle über Switches angeschlossenen Linecards als ein einziger logischer DSLAM erscheinen und zentral verwaltet werden können. Der Witz an der Sache ist, dass ein ECN mehrere Outdoor-DSLAMs, die physisch viele Kilometer entfernt stehen, als ein Gerät verwalten kann.
EDA ist übrigens keine Technik, die jetzt vom Mond käme und an die man nur drankommt, wenn man ein dickes Telekommunikationsunternehmen ist. Die EDN312xi habe ich für ca. 600 € in einigen Onlineshops gesehen. Der ECN kommt für etwa 2000 €. Man sieht also deutlich, das Teuere an einem Outdoor-Ausbau ist nicht die Hardware, sondern die Baukosten. Aber wer außer irgendwelchen Telefonfirmen braucht DSLAMs? Ich war da überrascht. Es sind vor allem Hotelbetriebe. Die ollen Pfennigfuchser wollen ihren Gästen schnelles Internet auf dem Zimmer anbieten, haben aber kein Geld für die Installation von Ethernetkabeln. Manchmal spricht wohl auch der Denkmalschutz dagegen, die Wände aufzustemmen. Also nimmt man die vorhandenen Telefonkabel, klemmt eine EDA daran, am anderen Ende ein DSL-Modem, und fertig ist die Laube.
Das klingt alles erstmal prima. Die Telekom ist wie man hört trotzdem nicht ganz zufrieden mit der Ericsson-Technik. Man weiß derzeit nicht, ob zumindest die EDA-Geräte der 1. Generation, zu denen die EDN312x gehört, ein technologischer Irrweg sind. Ericsson tut sich schwer, das u.a. von der Telekom für ihre heilige Kuh "Triple Play" geforderte Access Node Control Protocol (ANCP) zu unterstützen. ANCP ist ein Steuerungsprotokoll für DSLAMs. Die T-Com sieht es als Voraussetzung für ihr T-Home Entertain an. Weil ANCP derzeit auf der EDA nicht geht, gibt es am Outdoor-DSLAM kein Entertain. Ich persönlich kann das verschmerzen. Ich halte nicht die EDA, sondern Triple-Play für einen technologischen Irrweg. Ich will nur schnelles Internet und sonst gar nichts. Kein VoIP und kein IPTV. Man wird sehen, ob Ericsson in Sachen ANCP das runde Schwein durch ein eckiges Loch fädeln kann. Im schlimmsten Fall müsste die EDA-Technik eben eingestampft und ersetzt werden.