Planlos in Ahlen

Der erste Tag Innendienst. Ich wünsche mir, dass meine Krücken von irgendjemandem geklaut oder am besten verbrannt werden. Würde ich konsequent am Stock gehen käme ich wahrscheinlich niemals nirgendwo an und würde verhungern (schonmal versucht in der Küche an Krücken Essen zu empfangen?).

Wie ich mir bereits dachte, habe ich heute heldenhaft die UvD-Stube und das dortige Telefon verteidigt. Ein relativ ruhiger Job, bei dem man lesen kann und nur ab und an mal gestört wird. Vor allem bekommt man mit, was abgeht. Und das, was geht, hält manchmal jedem Vergleich mit einer Reality-TV-Show stand.

Im Laufe des Morgens findet sich eine leicht ratlose Gefreite, nennen wir sie die Gefreite Dosenkohl, vor meiner UvD-Stube ein. Mit dabei hat sie eine "Trage, orange" und eine "Brille, Staub und Sonne". Beides hat sie auftragsgemäß im T-Bereich empfangen. Außerdem hatte man ihr gesagt, mit dem Zeug solle sie auf einen Oberleutnant warten, der irgendwann vorbeikommt und weiß wie es weitergeht. Es hatte etwas durchaus autosuggestives: "Ein Offizier wird kommen und uns sagen, was wir hier tun…". Aber es kam niemand. Nun steht sie vor meiner Dienststube wie bestellt und nicht abgeholt. Also probierte unsere glorreiche Soldatin im Selbststudium (ein Bundeswehrbegriff für "gepflegtes Nichtstun") verschiedene Trageweisen der Trage durch: Trage geschultert, Trage stehend aufgelegt, Trage liegend, Trage in Pirschhaltung, Trage stehend angelehnt… Alles in allem ein Bild für die Götter, und nicht zuletzt für den Telefonposten sehr unterhaltsam.

Gegen Mittag tauchte die Gefreite dann wieder auf. Immer noch mit der Trage auf der Schulter. Wie sich rausstellte, war sie inzwischen zur Ãœb-Verletzten geworden. So tief ist unser Zentraler Sanitätsdienst also schon gesunken: Unfallopfer müssen sich zukünftig ihre Tragen selbst mitbringen. Andernfalls kann eine zeitnahe Rettung wohl nicht garantiert werden. Irgendwie sowas dämmerte mir schon während der Grundausbildung. Ohne Trage sind wir Sanis ja gezwungen, obskure Schleiftricks anzuwenden, um unsere Opfer bewegen zu können, "Hochzeits-Tragegriffe" und ähnliche Spaßmacher. Allen diesen Techniken ist gemeinsam, dass sie auf Rücken, Nacken, Muskeln oder Material gehen. Irgendwo oberhalb von 80 kg geht dann gar nichts mehr. Einen 100-Kilo-Mann haben wir selbst zu zweit keinen Zentimeter bewegen können. Bei solchen Leuten appellieren wir an die Selbsttransportfähigkeit ("es ist nur ein Außenbandanriss") und lassen sie ansonsten liegen.

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