Grounding

"Grounding – Die letzten Tage der Swissair" ist ein Doku-Spielfilm über den Zusammenbruch der Schweizer Nationalfluglinie im Oktober 2001. Der Streifen ist einer der erfolgreichsten Schweizer Filme aller Zeiten. Okay, da gehört nicht viel zu, aber man muss wissen, dass Swissair bis heute ein nationales Trauma für die Schweiz ist. Das Bedürfnis nach masochistischer Nabelschau im Kino ist daher groß gewesen.

Ich habe enorme Probleme mit dem Film, weil es keine deutsche Tonspur gibt. Ja wie, in der Schweiz sprechen sie doch Deutsch? Im Prinzip schon, aber eben Schweizerdeutsch. Im Film gibt es ein paar Leute, die Englisch reden. Diese Menschen sind unnötigerweise deutsch untertitelt, dabei sind sie die einzigen, die man überhaupt versteht.

Was ist damals passiert? Der glorreiche Swissair-Chef Bruggisser war auf die Idee gekommen, aus Swissair eine große, wichtige und zukunftsträchtige Airline machen zu können, indem man in Europa die Resterampe aufkauft, gescheiterte Gesellschaften wie die belgische Sabena zum Beispiel. Das Wirrwarr an Untergesellschaften wurde undurchsichtig umstrukturiert, die rentablen Bereiche direkt in die Swissair eingegliedert, und es blieben Rumpfgesellschaften übrig,  die fortan wie schwarze Löcher Geld verschlangen. Der Schuldenberg wuchs, von 6,6 Mrd. Franken war die Rede. Irgendwann hat man Bruggisser dann mal gefeuert und zunächst durch den Chef der mit Swissair verbandelten Regionalfluggesellschaft Crossair ersetzt. Nach 44 Tagen ergriff der gute Mann die Flucht. Ein neuer Mann, Mario Corti, wurde von Nestle geholt. Er unternimmt den Versuch, die Swissair wieder auf Linie zu bringen. Das bedeutet vor allem, Liquidität zu organisieren, um die Verbindlichkeiten zahlen zu können. Aber der Verkauf von Unternehmensteilen geht nur langsam voran. Dann wird Swissair auch noch vom 11. September 2001 gebeutelt. Danach geht alles ganz schnell. Es zeichnet sich ab, dass Swissair innerhalb weniger Tage zahlungsunfähig werden wird. Rettungspläne werden ausgearbeitet. Corti setzt sich dafür ein, dass Swissair frisches Geld bekommt und als Gesellschaft weiterbesteht. Die beiden großen Schweizer Banken UBS und Credit Suisse (CS) haben andere Pläne: Zunächst soll Swissair ihre Aktien der Tochter Crossair an die Banken verkaufen, damit Liquidität in die Kasse kommt. Anschließend soll Swissair aber in den Konkurs laufen, und die brauchbaren Aktiva in die Crossair übernommen werden, also vor allem die Flugzeuge. Das Ergebnis wäre eine neue Schweizer Fluggesellschaft ohne Schulden. Das war am 30. September 2001. Die Folge der divergierenden Pläne ist, dass die Banken und Corti aneinander vorbei arbeiten. Am 1. Oktober beantragt Swissair Nachlaßstundung. Bei uns würde man von einem Insolvenzantrag sprechen. Die Folge ist natürlich, dass alle Lieferanten ab sofort nur noch gegen Barzahlung liefern, um nicht auf den Forderungen sitzen zu bleiben. Dadurch steigt der Liquiditäts-Bedarf der Swissair sprunghaft an. Das Geld reicht gerade noch, um am 2. Oktober die Flugzeuge der morgendlichen Welle in die Luft zu bringen. Es kommt zu skurrilen Szenen: Swissair-Piloten starten mit Taschen voller Bargeld, um die Flughafengebühren am Zielort bezahlen zu können. In London wird eine Maschine beschlagnahmt, weil das Geld nicht ausreicht. Der Aktien-Verkauf verzögert sich, die Kasse läuft damit leer. Corti und seine Leute unternehmen noch stundenlang putzige Versuche, die Krise zu managen. Wenn schon Swissair als Gesellschaft nicht zu retten ist, soll wenigstens die Marke "Swissair" unbefleckt bleiben. Das geht nur, wenn die Maschinen auch in der Krise weiterfliegen. Es hilft aber alles nichts. Corti muss den Flugbetrieb wegen Treibstoffmangel und übermüdeter Piloten einstellen lassen. Das ist der Augenblick höchster Peinlichkeit. Die Swissair-Flotte ist gegroundet. Es ist vorbei.

Das alleine gibt schon Stoff für ein durchaus spannendes Wirtschafts-Drama, aber die Macher haben leider nicht vergessen, was sie mal an der Schule gelernt haben: Zerre Einzelschicksale vor die Kamera! Die Notlage der Swissair muss Gesichter bekommen! Also erfinden die Autoren eine lose zusammenhängende Gruppe unheimlich vom Schicksal gebeutelter fiktiver Menschen. Da ist die Flugbegleiterin Susanne Gasser mit ihrem Sohn, für den es ganz und gar nicht gesund ist, dass sich niemand um ihn kümmert, und dabei ist er doch in einer kritischen Phase… Er erzieht sich praktisch selbst, bzw. er hat Freunde. Einen herzensguten Swissair-Mechaniker-Opa und einen etwas älteren Freund, der ihn auch mit Pornos und Joints versorgt. Susanne hat einen Lebensgefährten, der echt den Vogel abschießt, was das "ich-bin-vom-Schicksal-übel-getroffen" angeht. Er ist ein alkoholkranker Copilot. Irgendeine Nebenrolle spielt auch noch noch ein Swissair-Küchenhelfer, der einen Sohn bei der Bank hat, die nachher Swissair den Geldhahn zudrehen wird. Das sorgt für Zoff in der Family.  Alle diese völlig fiktionalen Elemente des Films schwanken zwischen "okay, verlängert immerhin die Laufzeit des Streifens" bis zu "hochnotpeinlich". Man hätte drauf verzichten können. Ein ganz guter Film wird so nur unnötig verwässert.

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