echoray begeht Republikflucht

"1378 (km)" ist ein Kunstprojekt, das derzeit in den Medien Wellen schlägt. Es handelt sich um ein Computerspiel, ein kleines "Ballerspiel", das an der ehemaligen innerdeutschen Grenze spielt. Es treten an: Bewaffnete DDR-Grenztruppen gegen unbewaffnete Republikflüchtlinge. Weil man also auf wehrlose Zivilisten schießen kann, gab es im Vorfeld der Veröffentlichung einen ziemlichen Aufschrei von DDR-Opferverbänden und der Bildzeitung ("Wird das widerwärtige DDR-Ballerspiel verboten?"). Im Gegensatz zur Mehrheit dieser Schreihälse, bei denen bei den Stichworten DDR und Ballerspiel Refelexe wie beim pawlowschen Hund einsetzen, habe ich mal die 4,99 EUR investiert, die Half-Life 2 Deathmatch bei Steam kostet (1378 km ist ein Mod dafür, und kein eigenständiges Spiel), und mir die Sache mal selbst angesehen.

DDR Ballerspiel 1378 km

Es geht los. Thüringen, der Wald am "Fulda Gap". Wir nehmen Kurs auf den DDR-seitigen Zaun.

DDR Ballerspiel 1378 km

Alle paar Minuten spawnt ein Loch im Zaun. Dieses gilt es zu finden und auszunutzen.

DDR Ballerspiel 1378 km

Wir sind im Todesstreifen. Jetzt aber flinke Füße…

DDR Ballerspiel 1378 km

Zu dieser Stelle sollte man sich orientieren. Die Betonblöcke sind unüberwindbar, aber an den Panzersperren hat man eine Chance. Im Hintergrund der BRD-seitige Zaun. Es droht noch eine große Gefahr: Die "Selbstschussanlagen" SM-70, hier schwach am Zaun erkennbar.

DDR Ballerspiel 1378 km

Auch hier muss man wieder warten, bis ein Loch im Zaun spawnt. Die Tore zum Westen stehen weit offen.

DDR Ballerspiel 1378 km

Ein letzter Blick zurück.

DDR Ballerspiel 1378 km

Nach erfolgreicher Flucht wird man in diese 70’s-Style Bude teleportiert. Das war’s dann, und man kann sein Glück erneut versuchen.

Den Part der Grenzer zu bebildern spare ich mir mal. Diese Jungs haben die Wahl, die Flüchtenden entweder zu erschießen (die Abschlußszene ist dann ein Mauerschützenprozess), zu verhaften, oder auch selbst in den Westen abzuhauen. Das ist alles.

Das Spiel ist in Wirklichkeit gar kein Spiel, sondern tatsächlich eher ein Kunstprojekt. Es könnte ein Spiel werden, wenn man den Flüchtlingen irgendwie die Möglichkeit einräumen würde, ihre Löcher in den Zaun selbst schneiden zu können. So wie das Spiel aber derzeit ist, sind sie schlicht zur Passivität verdammt. Löcher tun sich an nicht vorhersehbaren Stellen auf – oder auch nicht. Die Kritiker sollten sich beruhigen. Es ist nicht zu erwarten, dass emotional fehlgeleitete Ballerspielkonsumenten künftig in großem Stil Jagd auf wehrlose Flüchtlinge machen. Denn nach zwei oder dreimal hat man als Flüchtling schlicht keine Lust mehr, sich den Zufällen der spawnenden Zaunlöcher auszuliefern und loggt sich aus.

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