Die Sanshas kommen

Seit mehreren Jahren spiele ich das Online-Multiplayer-Rollenspiel "EVE Online". Ich habe allerdings noch nie darüber gebloggt. Das ändere ich jetzt. Anlass ist das gestrige Live-Event. Da bei EVE sich alle Spieler auf dem selben Server befinden und es keine Instanzierung gibt, eignet sich EVE gut dafür, besondere Events abzuhalten, bei denen die Spieler in die Handlung einbezogen werden können. Seit nunmehr einem Dreivierteljahr läuft nun ein Handlungsfaden rund um einen überaus bösen Widersacher, der gestern seinen vorläufigen Höhepunkt gefunden hat.

In EVE Online bewegt man sich mit Raumschiffen in einer mehrere tausend Sonnensysteme umfassenden Galaxie. In dieser Spielwelt rivalisieren zahlreiche große und kleine Machtblöcke, davon einige spielergesteuert und einige als Nichtspieler-(NPC)-Mächte. Den "sicheren" Teil des Universums, in dem vor allem Piraterie unter den Spielern durch eine Polizei ("CONCORD" genannt) bekämpft wird, bilden die Machtblöcke Caldari/Amarr und Gallente/Minmatar (gemeinsam nennen wir sie das "Empire"). Wenn es CONCORD nicht gäbe, würden sich diese beiden Machtblöcke wohl postwendend gegenseitig an die Gurgel gehen. Das sollte man im Hinterkopf haben, wenn man die Ereignisse von gestern Abend einordnen will.

In der Hintergrundgeschichte von EVE gab es eine Figur namens Sansha Kuvakei. Dieser Mann hatte bereits vor 100 Jahren die "Sansha’s Nation", einen utopischen Staat, gegründet. Sein kleines schmutziges Geheimnis war, dass dieser Staat auf der Unterjochung kybernetisch implantierter "True Slaves" fußte (wer sonst sollte die ganze Arbeit machen und Krieg führen?). Als dies bekannt wurde ließ man im Empire für kurze Zeit die inneren Konflikte ruhen, um Sanshas Unrechtsstaat von der Sternenkarte zu tilgen. Man glaubte bislang auch, dass dies im wesentlichen gelungen war. Kuvakei soll beim finalen Angriff auf seine letzte Festung getötet worden sein. Übrig blieben nur zahlreiche True Slaves, die weiter stur die letzten Befehle des Meisters ausführen.

Soweit der Hintergrund. CCP Games hat sich nun diesen Herrn Kuvakei für den aktuellen Live-Event-Handlungsbogen ausgesucht. Inzwischen weiß man, dass Kuvakei vermutlich ziemlich lebendig ist und im Verborgenen am Wiederaufbau seiner Nation strickt. Dazu drangen seit Mai 2010 während zahlreicher Live-Events immer wieder Sansha-Truppen ins Empire ein, um dort Leute von den Planeten zu entführen. Das englische Wort für ein solches Eindringen ist übrigens "Incursion". Die Entführten tauchen dann ein paar Tage später als willenlose und dem Meister hörige True Slaves wieder auf, um weitere Leute zu entführen. Kuvakei ist also ein durchaus dankbarer Gegner für uns Spieler von EVE Online, weil er so durch und durch böse ist – es wäre aber nicht EVE, wenn es nicht auch Spieler gäbe, die als Sansha-Loyalisten der Idee, die Galaxie zu versklaven, wohl durchaus etwas abgewinnen können. Sie unterstützten die Nation, wo sie können und kämpfen an ihrer Seite.

Was mir an den Sansha-Liveevents sehr gefällt ist, dass die Handlung nicht nur im Spiel, sondern auch Out-of-Game im Internet vorangetrieben wird. In Foreneinträgen, "geleakten" Dateien, per Twitter und speziellen Webseiten werden zum Beispiel Andeutungen zu Zeit und Ort der nächsten Incursion gemacht. Ein Beispiel für eine solche Internetseite ist der "Fluid Router eo-NATION". Gestern deutete sich an, dass eine solche Incursion um 22 Uhr deutscher Zeit im Yulai-Sonnensystem stattfinden würde. Wer eine zeitlang EVE gespielt hat weiß, dass sich in Yulai das Hauptquartier von CONCORD befindet. Eine Incursion in diesem System ist quasi so, als ob die Russen plötzlich in Berlin stünden. Deshalb habe ich an diesem Abend mal kein PvP im gesetzlosen Raum gemacht, sondern bin nach Yulai geflogen, um mal den Roleplaying-Gedanken hochzuhalten und die Show zu genießen.

EVE Online Live-Event 23.1.2011, Sansha-Incursion in Yulai

Mein Schiff für diesen Abend. Ein Battleship der Scorpion-Klasse. Eine Plattform für elektronische Kriegsführung. Diesen Schiffstyp benutzen wir im PvP, um die gegnerische Flotte blind zu machen. Heute an Bord: Systeme, um die Zielerfassung der Sansha zu stören und ihnen Energie abzusaugen. Ferner Cruise Missiles und gravimetrische Wellengeneratoren.

EVE Online Liveevent 23.1.2011, Sansha-Incursion in Yulai

Ei ei, wen haben wir denn da? Der lokale Chatkanal von Yulai vor Beginn der Incursion. In diesem speziellen Moment taucht kurz Slave Heavenbound02 im Chat auf. Er ist ein von CCP gesteuerter Sansha-Darsteller. An diesem Screenshot sind mehrere Dinge auffällig. Erstens sollten Darsteller anders als normale Spieler eigentlich nicht in der Liste des Local auftauchen. Aus irgendwelchen Gründen blitzen sie aber immer mal wieder kurz auf. Weiterhin zeigt mir mein Client bei Heavenbound ein kleines rotes Icon. Das steht normalerweise dafür, dass der Spieler offline ist. In meiner Naivität hatte ich einfach mal die ganze Sansha-Mischpoke in meine Kontaktliste aufgenommen, um Vorwarnungen für Incursions zu haben. Wie man sieht wird die Onlinemeldung bei CCP-Darstellern aber unterdrückt. Drittens achte man mal auf die Uhrzeit unten links. 20:42 Uhr. Um 21:00 Uhr sollte die Incursion laut den Hinweisen beginnen. Durch Heavenbounds Anwesenheit war nun klar, dass in Yulai etwas passieren würde. Ich überlegte kurz, ob ich meine Entdeckung samt Screenshot im Chat oder in den Foren anpreisen sollte. Immerhin befand sich in den Systemen Saisio und Ikao, einige Sprünge entfernt, eine mehrere hundert Mann starke Flotte der Hardcore-Rollenspieler von FCORD und dem Synenose Accord. Diese Jungs hatten ganz im Stil von "wir wollen auf alles vorbereitet sein" nicht in Yulai, sondern an zentralerer Stelle gesammelt. Wir würden sie aber gleich in Yulai brauchen.

 EVE Online Live-Event 23.1.2011, Sansha-Incursion in Yulai

Aha, die Presse hat auch den Weg gefunden…

EVE Online Live-Event 23.1.2011, Sansha-Incursion in Yulai

21:13 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt habe ich bereits einmal von Sansha-NPCs heftig auf die Mütze bekommen, weil ich in ihrer Nähe ein Wurmloch am Yulai-Stern mit gravimetrischen Wellen bearbeitet habe. Schild und ein Teil der Panzerung sind weg. Aber ich bin lebendig aus der Nummer rausgekommen. Jetzt nehme ich Kurs auf den Supercarrier von Heavenbound und das Wurmloch am zweiten Planeten.

EVE Online Liveevent 23.1.2011, Sansha-Incursion in Yulai

Da ein weiteres Wurmloch am fünften Planeten gemeldet wird, begebe ich mich dorthin. Wieder ist ein Revenant-Class-Supercarrier anwesend, gesteuert von Slave Endoma01. Die kleinen Kreuze um den SC herum sind übrigens Drohnen, die ihn ebenfalls beschießen. Mit einer Hand feuere ich jetzt Raketen auf den SC, mit der anderen beharke ich das Wormhole mit gravimetrischen Wellen. Damit ziehe ich Beschuss von Endoma auf mich. Für einen Supercarrier eigentlich recht wenig. Aber genug, um besser zu verschwinden.

EVE Online Live-Event 23.1.2011, Sansha-Incursion in Yulai

Auch dem großen Meister scheinen die Dronen langsam lästig zu werden.

EVE Online Live-Event 23.1.2011, Sansha-Incursion in Yulai

Wir kommen langsam dahinter, was die Sansha in Yulai überhaupt vorhaben. Sie wollen mit Material aus dem Yulai-Stern eines ihrer temporären Wurmlöcher permanent stabilisieren.

EVE Online Live-Event 23.1.2011, Sansha-Incursion in Yulai

Hier nochmal so ein kleiner Chatfehler, der mir drei Sansha-Darsteller preisgibt. Ich bin am 11. Planeten an einem Wormhole zugange. Die Bombardierung mit gravimetrischen Wellen hat sich bei vergangenen Events als Weg bewährt, den Sansha unerwarteterweise den Rückweg abzuschneiden.

EVE Online Live-Event 23.1.2011, Sansha-Incursion in Yulai

Mein Schiff und ein Raven-Class-Battleship eines anderen Spielers hautnah am Wormhole. Meister Kuvakei gibt bekannt, dass irgendetwas schiefgegangen ist. Der SC von Slave 32152 wurde wohl zerstört.

 EVE Online Live-Event 23.1.2011, Sansha-Incursion in Yulai

Der Lebenslauf von Slave Endoma01. CCP hat sogar Sinn für die Details. Slave Endoma hieß bis zum 16. Mai 2010 noch Sutola Endoma und arbeitete bei CONCORD. Dann hat sie sich während einer Incursion versehentlich als Sansha-Spion selbst enttarnt. Das war eine der unerwarteten Wendungen der Sansha-Events. Irgendein Spassvogel hat 6666 ISK Kopfgeld auf sie ausgesetzt.

Ich bin mal wieder auf Tuchfühlung mit Heavenbound. Auch dieser Sansha-Commander hat eine interessante Geschichte. Zu einem Zeitpunkt, als CCP zu dem Schluss kam "wir brauchen mal mehr verschiedene Sansha-Charaktere bei den Incursions" hatte ein Rollenspieler mit Nachnamen Heavenbound einen Thread aufgemacht "Buhu, meine ganze Familie haben sie entführt". Das hat man bei CCP gelesen, und Slave Heavenbound02 war geschaffen. Es gab dann bei einigen Events ein paar nette Dialoge zwischen dem Slave und dem Rollenspieler.

EVE Online Live-Event 23.1.2011, Sansha-Incursion in Yulai

Hier mal ein Screenshot eines Revenant ganz ohne störende Bedienelemente. Das kleine Kröppzeug rundherum sind keine Schiffswracks, sondern Spieler-Schiffe – einige davon selbst mehrere hundert Meter groß. Wenn wir als Spieler so einen Supercarrier bauen wollen, müssen dazu eine Menge Leute erstmal wochenlang mit Lasern auf Steine schießen, um an genügend Erze ranzukommen.

EVE Online Live-Event 23.1.2011, Sansha-Incursion in Yulai

Infoblatt zum Sansha Revenant. Blaupausen für das Schiff werden in begrenzter Zahl unter die Teilnehmer der Live-Events gestreut. Wie ich erfuhr hat auch meine Spieler-Koalition gestern einige erbeutet.

EVE Online Live-Event 23.1.2011, Sansha-Incursion in Yulai

Der Meister hat fertig. Dieses Mal hat die Nation gewonnen und ihre Ziele erreicht. Der Kampf verlagert sich jetzt von Yulai in das Sonnensystem Promised Land – dieses hat wohl wegen seines Namens auf Kuvakei eine gewisse Anziehungskraft.

EVE Online Live-Event 23.1.2011, Sansha-Incursion in Yulai

…zwischenzeitlich am Planeten 5. Sutola Endoma ist in Schwierigkeiten. Durch ständiges Rammen des Supercarriers haben wir sie bereits 263 km vom rettenden Wurmloch weggetrieben. Bei der Bekämpfung von Capitalships eine gängige Taktik. Dauerndes Rammen macht zwar keinen Schaden, verhindert aber ein Ausrichten des Opfers zum Warpen. So kann er nicht weg. Endomas Hoffnung, dass ihr Meister sie rettet, wird sich nicht erfüllen. Sie wird in Yulai vernichtet werden. Macht aber nichts. So wie wir Spieler auch, hat sie einen Klon, der nächstens für sie einspringen kann. Sutola Endoma wird uns also erhalten bleiben.

Da es schon spät war und Promised Land darüber hinaus im Niedrigsicherheitsgebiet liegt, bin ich an dieser Stelle nach Hause geflogen. Nicht dass ich ein Kind von Traurigkeit wäre – ich operiere täglich im Nullsicherheitsgebiet. Aber nach 23 Uhr in piratenverseuchtem unbekanntem Gebiet zu fliegen – das können andere machen.

Das Endergebnis der Schlacht von Yulai waren zwar einige tote Sansha-Supercarrier, die Nation konnte ihre Ziele aber im wesentlichen erreichen und ein Wurmloch stabilisieren, das sie für zukünftige Angriffe nutzen kann.

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