"Schreiben ist wie Küssen mit dem Kopf"
Gestern haben sich zwei recht namhafte Schauspieler in die Kreisstadt mit den markanten Kreisverkehren verirrt, Aglaia Szyszkowitz und Walter Sittler. Gespielt wurde das Stück "Gut gegen Nordwind" nach dem gleichnamigen Buch von Daniel Glattauer. Dieses hatte eine recht innovative literarische Form – es besteht zum allergrößten Teil aus e-Mails, die sich die Protagonisten Emmi und Leo gegenseitig schicken. Kann man so einen Stoff auf die Bühne bringen? Ja, man kann – sogar ohne dass irgendjemand im Laufe des Stücks die Tastatur eines Computers anfassen müsste. Die Schauspieler formulieren ihre e-Mails überwiegend frei in den Raum. Der Laptop ist nur Requisit, mit der vornehmsten Aufgabe, in manch schwerer Minute die Schauspieler in bedeutungsvolles schwaches Licht zu tauchen. Das Bühnenbild ist recht schlicht. Rechts die Bude von Leo mit Tisch, Stuhl, Sandsack und einer markanten Flasche Gerolsteiner Naturell, links das Zimmer von Emmi, mit Tisch, Stuhl und einem Bett zum drauf räkeln – das Stück lebt schließlich auch ein bisschen davon, dass Frau Szyszkowitz auch im bald etwas reiferen Alter noch gut in Form ist. Zwischen den beiden Lebenswelten eine halb hervorgezogene Trennwand. Die Wand ist das vielleicht wichtigste Bühnenelement des ganzen Theaterstücks. Manches Mal müssen die beiden Schauspieler quasi "gegen die Wand spielen". Man hört den anderen, aber sieht ihn nicht. Durch die Wand sind Emmi und Leo sich zwar irgendwie sehr nah, und doch so fern. Habe ich schon erwähnt, dass die Wand ziemlich metaphorisch ist???
Durch einige fehlgeleitete e-Mails finden Emmi und Leo in diesem Setting zueinander. Alsbald werden intime Phantasien ausgetauscht, aus den schriftlichen Mitteilungen entsteht jeweils das Idealbild eines Partners. Kann die Wirklichkeit dem standhalten? Durch einige Irrungen und Wirrungen kriegen die beiden kein vernünftiges Treffen auf die Kette, so dass die Beziehung rein im Virtuellen verbleibt. Emmi ist verheiratet, sucht aber ein Abenteuer (auch wenn sie lange braucht, sich das selbst einzugestehen). Leo hat im Grunde genug Anstand, die Finger von verheirateten Frauen zu lassen, aber irgendwann "übermannt" es ihn buchstäblich. Die beiden können sprichwörtlich nicht miteinander, und ohneeinander auch nicht. Und dann ist da auch noch Emmis Ehemann, der irgendwann mitbekommt, was seine Frau da mittels Computer treibt. Er bleibt im Theaterstück körperlos, tritt auch nur per e-Mail in Erscheinung, und hat sein eigenes Problem messerscharf erkannt: Das Idealbild des schriftlich-virtuellen Leo ist so perfekt, dass es keine Angriffsfläche bietet. So kann man nicht um seine Partnerin kämpfen… Die beiden mögen sich doch bitte endlich treffen, damit die Idealbilder von der Realität eingeholt werden. Dies fällt den beiden in Textform verkehrenden Turteltauben allerdings unendlich schwer.
Das Stück endet wie die Buchvorlage offen. Der Autor Glattauer hat noch einen zweiten Teil mit Happyend nachgelegt. Die beiden Schauspieler wussten später im Foyer beim Büchersignieren, dass auch dieser Teil ins Theater kommen wird. Allerdings leider nicht mit Sittler und Szyszkowitz – "wir haben zuviel zu tun". Die Tournee der beiden neigt sich jetzt dem Ende zu, am Jahresende soll Schluss sein mit Gut gegen Nordwind. In der Werbung im Vorfeld des Stücks u.a. auf www.meschede.de wurden als Schauspieler für Gut gegen Nordwind noch Tanja Wedhorn und Oliver Mommsen beworben. Immerhin wurden aber später korrekterweise Sittler/Szyszkowitz plakatiert. Kann mir jemand sagen, was es damit auf sich hat? Gibt es noch eine zweite Theatertruppe, die mit dem Stück durchs Land tourt? Für das Duo Wedhorn/Mommsen wäre ich aber wahrscheinlich nicht ins Theater gegangen.
Bei den entscheidenden Szenen wurde das Stück mit Musik u.a. von PeterLicht untermalt ("Räume räumen"). Bei dem Lied bin ich mir zwar ziemlich sicher, dass es eigentlich um Kapitalismuskritik geht (alles was PeterLicht macht ist im Grunde Kapitalismuskritik), aber auch bedeutungsschwangere Momente in modernen Bühnenstücken lassen sich damit begleiten. Sehr hübsch. Erinnerte mich stilistisch ein wenig an "Wartesaal" von Bosse.
Die Stadthalle war recht gut voll. Etwas naiv hatte ich daran geglaubt, dass sich mit so einem modernen Stoff vielleicht ein paar jüngere Leute ins Theater locken ließen. Stattdessen traf man doch wieder überwiegend die üblichen Verdächtigen. Das Problem ist wohl das Medium Theater an sich. Die Pause zur Mitte des Stücks hätte man vielleicht etwas besser lösen können. Nachher vermisste ich nämlich meine beiden namenlosen Sitznachbarn. Dass das Stück als so grottig empfunden wurde, dass die beiden fluchtartig den Saal verließen, möchte ich eigentlich nicht glauben. Also hat sie vielleicht die überraschende Pause – zack, Vorhang zu – irritiert? Die Stadthalle hat doch Projektionstechnik, und die wurde ja im Stück auch genutzt. Da hätte man doch mal eben das P-Wort einblenden können, um sich nicht unabsichtlich ein paar Zuschauern zu entledigen?