Luftwiderstandswerte von Eisenbahnfahrzeugen bestimmen mit Autodesk Flow Design

Wie groß ist eigentlich der Luftwiderstand einer Kleinlokomotive vom Typ Köf 2? Spontan möchte ich bezweifeln, dass jemals ein Windkanalversuch mit so einer Lok unternommen wurde. Als diese Fahrzeuge in den 1930er Jahren konstruiert wurden, zählten garantiert andere Dinge als der Luftwiderstand einer nur 30 km/h schnellen Rangierlok. Dennoch gibt es Fälle, wo man heutzutage ein akademisches Interesse an korrekten Luftwiderstandswerten x-beliebiger Bahnfahrzeuge hat. Zum Beispiel, wenn man eine Bahnsimulationssoftware mit hohem Realismus auf die Beine stellt, die im Ausbildungs-, Systemsimulations- und auch Hobbybereich eingesetzt wird. Nennen wir sie Zusi 3 😉

cw- oder cwA-Werte zu bekommen, ist gar nicht so einfach (cw ist der Luftwiderstandsbeiwert, cwA ist der Luftwiderstandsbeiwert multipliziert mit der anstehenden Querschnittsfläche des Fahrzeugs). In einschlägigen Fachbüchern werden zwar ein paar Beispielwerte für ausgewählte Fahrzeuge genannt.  Wie diese Werte zustandegekommen sind, bleibt aber häufig unklar. Der Experte kann zwar erkennen, dass ein cwA-Wert von 1 für einen D-Zug-Wagen wohl an einem in den Zug eingereihten Wagen ermittelt wurde. Alleinfahrend erzielt der selbe Wagen einen cwA von ca. 7. Beide Angaben werden in der Literatur ohne Erläuterung weitergetratscht. Da entfleucht einem glatt der Ausruf „so kann ich nicht arbeiten!“…

Bei Zusi haben wir den einen Vorteil, dass wir alle Fahrzeuge als 3D-Modelle vorliegen haben. Es gibt Software, mit der man Strömungssimulationen an 3D-Modellen durchführen kann. Dank Software-as-a-service-Lizenzmodellen ist sowas auch unerwartet günstig zu haben. Die Firma Autodesk hat eine entsprechende Software im Portfolio. Für 40 € kann man sich Autodesk Flow Design mal einen Monat lang mieten. Danach kündigt man das Abo wieder und kann es zum Beispiel einige Monate später wieder aufleben lassen, falls man nochmal Bedarf hat. Flow Design ist quasi ein virtueller Windkanal. Das 3D-Modell wird mit einer definierten Strömung angeströmt, und die Software errechnet dann cw und den Luftwiderstand in Newton. Aus letzterer Angabe lässt sich der für Zusi relevante cwA-Wert zurückrechnen.

Flow Design kann mit diversen CAD-Datenformaten umgehen. Modelle aus der Zusi-Welt bekommt man am einfachsten auf dem Umweg über das Wavefront-Object-Format in das Programm hinein. Hier ein Akkutriebwagen 515 im „Windkanal“, danach ein Zug mit BR 218 und vier Schnellzugwagen:

FlowDesign515

Flowdesign

Strömungssimulation macht man normalerweise auf Großrechnern. Um die Sache auf SoHo-Hardware leistbar zu machen, reduziert Flow Design nach Autodesk-Geheimrezept die Auflösung des Strömungsmodells. Bei Einzelfahrzeugen kommt Flow Design damit nach wenigen Minuten zu einer Lösung. Die Auflösung des Rechenmodells liegt hier bei 15-20 cm pro Voxel (ein Voxel ist quasi die kleinste Einheit des Raumes, für die eine Berechnung der Kräfteverhältnisse durchgeführt wird). Prinzipiell kann man auch ganze Züge testen. Bei Lok + 4 Wagen muss der Rechner dann schon gut eine Stunde lang ackern, obwohl die Auflösung automatisch auf über 30 cm pro Voxel reduziert wird. Haupteinflußgröße für die Voxel-Größe ist die Größe des Windkanals. Das Programm errechnet zwar anhand der Größe des 3D-Modells eine Windkanal-Größe, diese ist aber durchweg viel zu groß, was die Berechnungszeit nach oben treibt und die Auflösung der Strömungssimulation unnötig verschlechtert. Hier muss man also generell vor jedem Durchlauf Hand anlegen. Bewährt haben sich bei mir eine Höhe des Windkanals von 16 m und eine Breite von 20 m. Die Länge wählt man in Abhängigkeit des 3D-Modells so knapp wie möglich, aber so großzügig wie nötig (falls Wirbelschleppen entstehen, sollen sich diese vernünftig ausbilden können und nicht vorzeitig an die Wände des Windkanals schlagen). Die ersten Zwischenwerte gibt das Programm wenige Sekunden nach Berechnungsstart aus, diese sind aber tendenziell immer viel zu hoch, da es kurz nach Beginn der Simulation noch zahlreiche unberuhigte Strömungen gibt. Mit fortschreitender Zeit werden die Luftbewegungen immer ruhiger, der ermittelte Luftwiderstand sinkt entsprechend, und irgendwann erklärt Flow Design das Strömungsmodell zu „stabilized“, d.h. die Zahlen ändern sich nicht mehr bzw. wiederholen sich periodisch.

Flow Design nutzt auf meinem Achtkern-Notebook zwar fünf Kerne, der Koordinationsaufwand zwischen den Threads scheint allerdings erheblich zu sein. Im Ergebnis ist das Notebook mit einer Instanz Flow Design nur zu 25-30 % ausgelastet. Somit kann man parallel aber in einer zweiten Instanz ein anderes Modell testen.

Der Hersteller gibt an, dass Flow Design bis auf +- 6 % an die Genauigkeit von Windkanalversuchen herankommt. Voraussetzung ist natürlich, dass das 3D-Modell die tatsächlichen Verhältnisse des echten Bahnfahrzeugs hinreichend gut wiedergibt. Da kann man durchaus ein Fragezeichen dran machen. Die Zusi-Modelle sind ja, gerade wenn es um Details geht, auf die Darstellung am Bildschirm optimiert worden. An zukünftige Windkanalversuche dachte höchstwahrscheinlich keiner der Modellbauer. Da aber auch Flow Design durch seine Voxel-Größen Ungenauigkeit hineinbringt (alle Strukturen, die kleiner als 15-20 cm sind, fallen im Zweifelsfall bei der Simulation unter den Tisch), scheint es verzeihlich, wenn eine Griffstange oder ein Bremsschlauch am 3D-Modell nicht ausmodelliert wurden. Insgesamt scheinen mir die Ergebnisse aus der Software jedenfalls fundierter, als wenn man eine Schätzung der cwA-Werte aus dem hohlen Bauch heraus abgibt.

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