Richard A. Clarke hat einen Geheimdienst-Background. Das sollte man wissen, wenn man sich sein Buch "The Scorpion's Gate" durchliest, das sich mit einer fiktiven Detonation des Pulverfasses im Nahen Osten befasst. Der Roman zeigt eindrucksvoll, was passiert, wenn auf der weltpolitischen Bühne verschiedene Fraktionen ganz unterschiedliche Ziele verfolgen. Das Ergebnis ist völlig unberechenbar.
Die wesentlichen Fraktionen mit divergierenden Interessen in diesem Buch sind:
- Saudi-Arabien. Nach dem Rauswurf der al-Saud-Prinzen heißt dieses Land nun Islamiya. Wird übergangsweise regiert von einem Rat, der in zwei Gruppen zerfällt: Radikale Wahhabiten (eine ziemliche Minderheit im Islam, dafür aber umso radikaler), und relativ besonnene Nationalisten, die eigentlich einen recht vernünftigen Eindruck machen. Sie wollen halt Fremdbesatzer gleich welcher Nation aus dem Land haben, und Islamiya wieder zu alter Größe zurückführen (Mathematik, Medizin etc. sind ja in grauer Vorzeit zum Beispiel von den Arabern erfunden worden). Soweit kein Problem. Islamiya hat allerdings die Verbindungen zu den USA gekappt und sich zum eigenen Schutz chinesische Raketen (nicht nuklear) kommen lassen, die ihnen die Chinesen auch gerne geliefert haben.
- Die Vereinigten Staaten. Schon seit langem aus dem Irak zurückgezogen. Sie fallen auseinander in ein allgemeines Interesse an billigem Öl, und die Partikularinteressen des Verteidigungsministers, der mit den al-Sauds, na sagen wir mal "geschäftlich verbunden" ist.
- China. Auch hier haben wir gesteigertes Interesse an Islamiyas Öl.
- Iran. Hier träumen sie davon, in nicht allzu ferner Zukunft die Schiiten des Iran, Irak und die paar Schiiten, die es in Islamiya und den kleinen Golfstaaten gibt, in einem gemeinsamen Staat zu vereinigen.
Das alles unter einen Hut zu bringen, wäre schon schwierig, wenn die Kommunikation zwischen all diesen Parteien perfekt laufen würde, aber wir wissen alle, dass Weltpolitik so nicht funktioniert. Statt dessen handeln alle Akteure wild drauflos nach der jeweils eigenen geheimen Agenda und schaffen ständig neue Fakten. Am Ende ist die Lage so verfahren, dass China, die USA und der Iran praktisch gleichzeitig ihre jeweils ganz eigene Invasion von Islamiya starten wollen.
Wer jetzt allerdings einen Kriegsroman im Stile von Tom Clancy erwartet, ist hier falsch. Clarke ist wie gesagt Geheimdienst-Mensch, und legt daher mehr Wert auf die Menschen, die hinter den Kulissen die Fäden spinnen, sich Informationen verschaffen und schließlich die Katastrophe zu verhindern versuchen. Den Karren in die Scheiße fahren die diversen Fanatiker, herausziehen müssen ihn eine handvoll Menschen, die eher pragmatisch und vor allem klar denken können. Die Helden des Buches sind der britische Geheimdienstmann Douglas, dessen Land in dem Konflikt einigermaßen neutral ist, und der deshalb überall dort Quellen hat, wo die Amerikaner nur von träumen können, und sein Gegenstück auf US-Seite, der Analyst McIntyre. Mit hinein gerät alsbald auch noch die Journalistin Delmarco. Hier entwickelt sich ein interessantes Geben und Nehmen zwischen den Geheimdiensten und den Medien. Brad Adams ist Admiral und Befehlshaber der 5. US-Flotte. Er hat die militärischen Mittel und die Geistesgegenwart, um den labilen Frieden am Golf wieder zu erzwingen nachdem die Kugeln fliegen, obwohl er sich zum Schluss zwischen allen Fronten befindet und auch seine korrupte übergeordnete Führung keine große Hilfe mehr ist. Auf Islamiyas Seite tut sich die Familie Rashid hervor. Die Brüder Rashid sind Nationalisten, die für westliche Lebensweise nicht viel übrig haben, und zumindest einer von ihnen war früher mal Al-Quaeda-Terrorist. Sie sind allerdings einigermaßen tolerant gegenüber Andersgläubigen. Ihre Parole könnte "Saudi-Arabien den Arabern" heißen. Darauf kann man aufbauen. Den beiden gelingt es schließlich, sich gegen die Fanatiker durchzusetzen, die von Islamiya aus die wahhabistische Revolution mit Feuer und Schwert starten wollen, und dabei vermutlich den Nahen Osten in einen nuklearen Winter stürzen würden.