Die Festung ist geschleift

März 2007. In ganz Nordrhein-Westfalen erheben die Hochschulen Sudiengebühren. In ganz Nordrhein-Westfalen? Nein, ein kleines münsterländisches Dorf hört nicht auf, den Gebührentreibern Widerstand zu leisten. Bis gestern zumindest. Als letzte Hochschule in NRW hat die Westfälische Wilhelms-Universität Münster gestern die Einführung von Studiengebühren beschlossen. Hautnah am Geschehen war der Verfasser dieser Zeilen. Als ich den Heimweg antrat, war die Situation gerade munter dabei zu eskalieren, als unmittelbar nach der Abstimmung wütende Studenten den Senatssitzungssaal stürmten.

23 Menschen sitzen im Senat, davon 12 Professoren. Der Senat hatte nun 12 zu 11 für Studiengebühren in Höhe von 275 Euro gestimmt. Die Studierenden witterten Verrat. Im Vorfeld war bekannt geworden, dass einer der Professoren gegen Gebühren stimmen wollte. Wer war also der Umfaller? Erste Vermutungen sind, dass es ein bestimmter Student war, der sich jetzt vermutlich besser eingraben sollte, und zwar mit Helm.

Das Verfahren pro oder contra Studiengebühren verlief an der WWU aus irgendeinem Grund etwas langsamer als anderswo im Land, und war durchaus kurios. Ursprünglich wollte man schon im Januar einen Beschluss herbeiführen, die Sitzung war seinerzeit aber von renitenten Studenten gesprengt worden. Für die nächste Sitzung hatte sich der Senat dann auf einem gut abschirmbaren ehemaligen Raketentestgelände bei Handorf eingebunkert, und beschloss erstmal die Einsetzung einer Gebührenkommission. Verschiedene Grüppchen versuchten, überhaupt den Gebührenbedarf der WWU zu ermitteln. Man muss sagen, die Fakultäten strengten sich wohl richtig an, möglichst lange Wunschzettel aus dem Arsch zu zaubern. Da waren auch Posten drunter, die nicht mit dem hiesigen Studiengebühren-Gesetz vereinbar sind ("eine BAT-II-Stelle zur Pflege eines Webangebots"…). Aber selbst die pessimistischste Schätzung des Rektorats kam nicht auf mehr als 350 Euro Bedarf pro Nase. Die Professoren hatten einen Antrag mit 275 Euro, die wissenschaftlichen Mitarbeiter 200 Euro, und die Studenten natürlich 0 Euro.

Die Studierenden nutzten die Stunden vor der Abstimmung, um noch einmal gegen Gebühren zu demonstrieren. Das war auch der Grund, warum ich in meine Geburtsstadt Münster gefahren war. Ich wollte mir die Gaudi mal ansehen. Mein erster Eindruck war, dass das mit der Demo ein ziemlicher Rohrkrepierer werden würde. Um Punkt 14 Uhr fanden sich kaum Menschen am Startpunkt, dem Bahnhofsvorplatz in Münster. Die Polizei hatte sich außerdem gewünscht, dass die Demo am Ost- und nicht am Westausgang startet, und damit gewissermaßen auf der "falschen" Seite des Bahnhofs. Das erste was man in die Hand gedrückt bekam, war ein Flyer für die nächste Party. Irgendjemand forderte auf einer Standarte "Puffreis für alle". Die Sache würde hier ein ganz böses Ende nehmen, war meine feste Überzeugung… Als nächstes kam dann immerhin ein nützliches Blättchen "Was tun wenn's brennt – Tipps zum Verhalten bei Konfrontationen mit der Polizei". 10000 Studis hatte der AStA zur Demo gemeldet, am Ende waren wir geschätzte 2500 Männekes. Als die Straße dann endlich uns gehörte, zerstreuten sich meine Befürchtungen. Wir zogen quer durch die Altstadt zum Münsteraner Schloss, wo um 16 Uhr der Senat tagen würde. Unsere Forderungen – freier Hochschulzugang, freie Kindergartenplätze und Lernmittelfreiheit. Moment mal, Kindergarten und Lernmittel??? Die meisten Studenten guckten etwas irritiert. Irgendwie hat der moderne Student doch das Demonstrieren verlernt. Ihm geht es nur um sich selbst, mit Verbesserung der Welt hat er nichts am Hut. Was interessieren ihn Kindergärten und Schulbücher? Zur "Abschlusskundgebung" hatte man Sprecher der Bundestagsfraktionen Die Linke und SPD. Danach begab man sich zum Hörsaal PC7 ganz in der Nähe des Schlosses, wo die Senatssitzung per Videostandleitung live übertragen wurde. Das Unglück nahm seinen Lauf. Fast zwei Stunden debattierte der Senat, die meisten Wortmeldungen waren gegen Gebühren gerichtet. Dann kam es zur Abstimmung. Das Verfahren war ein wenig merkwürdig, weil man nicht etwa "Studiengebühren ja/nein" abstimmte, sondern bei 300 Euro anfing und dann runterging. Der 300-Euro-Antrag wurde noch 17 zu 5 abgelehnt, aber 275 Euro fanden die besagte Mehrheit im Senat.

Ich habe Fotos gemacht – hier meine Galerie

275 Euro – das sind interessante Perspektiven. Hier an der FH Dortmund zahlt man fast das doppelte. Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: Die große WWU überlegt hin und her, stellt ganz abstruse Wunschlisten auf, aber trotzdem hält man mehr als 300 Euro für in keinem Fall notwendig. Die FHDO dagegen schöpft den gesetzlichen Höchstbetrag von 500 Euro voll aus. Ich frage mich: Sind da einfach Economies of Scale am Werk, also Größenvorteile, so dass die WWU mit weniger als der Hälfte an Gebühren auskommt, oder sind die Lehrbedingungen hier in Dortmund wirklich so schlecht, dass man 500 Euro pro Nase braucht, um überhaupt erstmal akzeptable Zustände herzustellen? Oder gibt es hier bald goldene Türgriffe "zwecks Verbesserung der Lehre"? Einige Pläne, wie man in Dortmund das viele Geld ausgeben möchte, erscheinen mir nach der Münsteraner Debatte ein wenig fragwürdig. So will man beispielsweise erstmal die freien Professorenstellen besetzen. In Münster sagen sie, dass sowas vom Gesetz möglicherweise nicht gedeckt ist, weil so ein Professor eben nicht nur lehrt, sondern auch forscht. Wie auch immer. Studiengebühren und ihre Verwendung werden uns noch lange beschäftigen. Hierzulande gibt es nun keine gebührenfreie Uni mehr. Das ist ein Dammbruch. Die Chancen, dass eine Hochschule die einmal erhobenen Gebühren wieder abschafft, stehen eher schlecht.

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Eine Antwort zu Die Festung ist geschleift

  1. tth sagt:

    Ich kann es allen Leuten nur sagen: Kommt ins Rote Rheinlad Pfalz, wo es keine Studiengebühren gibt.

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