Die Grenze

Es ist ja nicht so, dass im deutschen Privatfernsehen nur gequirlter Scheiß produziert würde. Insbesondere wenn mal richtig viel Geld in die Hand genommen wird, kommt gelegentlich etwas durchaus sehenswertes heraus, so wie der Zweiteiler "Die Grenze" von Sat.1

Gleich zu Anfang bekommt man mitgeteilt, dass auch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Mecklenburg-Vorpommern den Film gefördert hat. Kann man wirklich Touristen ins Land locken, wenn ein Film folgende Story hat?: Unmittelbar vor den Landtagswahlen in MeckPomm verschlimmert eine Serie von Terroranschlägen auf die Ölindustrie die Wirtschaftskrise ungemein. Die öffentliche Versorgung bricht alsbald zusammen. Angeheizt von politischen Extremisten beider Lager kommt es zum Bürgerkrieg, der sich schwerpunktmäßig auf die Stadt Rostock konzentriert. Der Film lässt uns teilhaben am Leben des Werbedesigners Rolf Haas (Benno Fürmann), der vom Verfassungsschutz dazu benutzt wird, die Partei der Rechtsextremen zu infiltrieren. Am Ende tritt MeckPomm aus der Bundesrepublik aus und wird ein selbstständiger sozialistischer Staat, nach alter Väter Sitte mit einer undurchlässigen Grenze, eine DDR 2.0

Der Titel "Die Grenze" täuscht allerdings. Die Abspaltung MeckPomms wird erst fünf Minuten vor Schluss vollzogen und ist nur das Ergebnis, nachdem der den Film bestimmende Kampf der Rechtsextremen gegen die Linksextremen entschieden ist und sich der Pulverdampf verzogen hat. Ein besser zum Inhalt passender Titel wäre daher "Bürgerkrieg – Deutschland am Abgrund" gewesen, oder so. Denn das ist es, was diesen Film in meinen Augen wertvoll macht: Man hat sich hingesetzt und zeigt zur besten Sendezeit ein Szenario, in dem die gewohnte öffentliche Ordnung in Deutschland nach allen Regeln der Kunst zusammenbricht. Nach 50 Filmminuten haben wir die ersten durch Wegelagerer gesperrten Straßen. Nach weiteren 20 Minuten ist das Gewaltmonopol des Staates völlig zusammengebrochen, und bewaffnete Parteimilizen der Linken und Rechten übernehmen die Straßen. Linke gegen Rechte, und beide zusammen gegen die Staatsmacht, oder was davon übrig ist. In einer Rostocker Garage wird zu den Klängen der DDR-Hymne die Demokratische Sozialistische Republik Mecklenburg-Vorpommern proklamiert. Sehr gut auch die Idee von Sat.1, ein "Asset" der eigenen Sendergruppe im Film einzusetzen, nämlich den Sender N24. Dessen Moderatoren spielen sich selbst und verlesen zwischendurch immer mal wieder die neusten Nachrichten, komplett mit Newsticker und Börsenkursen (die gute Nachricht für mich ist: Für den 12. August 2010 meldet N24 einen Börsenkurs meiner ThyssenKrupp-Aktien von 12,88 € – das ist mehr als zum Tiefpunkt der Krise Ende 2008 😉 ). Die Welt geht sozusagen unter, und wir sind live dabei.

Schaut man sich die ersten Rezeptionen des Films in den Medien an, dann fällt auf, dass fast ausschließlich die Frage diskutiert wird, wie realistisch eine Teilung Deutschlands ist. Ich bin der Meinung: Die Teilung ist doch Pillepalle. Ob ich nachher in der Bundesrepublik oder in einem eigenständigen Staat Mecklenburg-Vorpommern lebe, ist zunächst erstmal eine rein verwaltungstechnische Formalität. Natürlich kann die Frage relevant werden, nachdem sich der neue Staat etwas sortiert hat und ich vielleicht zum Wohle des Sozialismus enteignet werden soll. Aber das bedeutet, dass ich den Bürgerkrieg bereits überlebt habe. Das ist das zunächst vordringliche Problem. Hierzu bietet der Film gutes Anschauungsmaterial, anhand dessen man sich mal fragen kann, wie man mit so einer Situation wohl umgehen würde. Straßenschlachten, die Beschaffung von Lebensmitteln, oder die simple Tatsache, dass im allgemeinen Chaos die medizinische Versorgung nicht mehr so gut klappt und man daher an vermeintlichen Bagatellen verrecken kann, sind nur einige der gezeigten Probleme, die man im normalen Leben so nicht hat. Die Zivilisationsdecke ist dünn. Wenn Menschen in eine Ausnahmesituation kommen, werden sie schnell wieder zum Tier.

An dieser Stelle möchte ich den Blick mal auf die kleinen Dinge lenken: Als Fleischer fiel mir sofort auf, dass Benno Fürmann beim Fleischzerlegen auf einem geklauten LKW vorschriftsmäßig einen Kettenhandschuh an der linken Hand trägt. Ob wohl auch die Fleischerei-Berufsgenossenschaft den Film gefördert hat? Lieber Benno, hier ein Tipp von Fleischer zu Fleischer: Wenn Du zusätzlich auch an der messerführenden Hand einen Schnittschutzhandschuh trägst, gibst es Bonuspunkte und damit Beitragsnachlässe der BG. Die BG hat im Kriegsgebiet nichts mehr zu melden? So ein Pech aber auch.

Insgesamt also Pluspunkte für die Darstellung des Umfelds. Das politische Szenario des Films ist dagegen nicht ganz so gut. Okay, die im Film dargestellte Partei "Neue Linke" ist eine ziemlich offensichtliche Anspielung auf unsere heutige "alte" Linke. Eine mehrheitsfähige und schwerreiche rechtsextreme Partei mit einer charismatischen Führungsperson ist aber derzeit bei uns nicht in Sicht. Die Vorstellung, in einem Bürgerkriegsgebiet Landtagswahlen abhalten zu können, und dass die Rechten nach ihrer Wahlniederlage einfach so nach Hause gehen, obwohl sie bewaffnete Milizen auf den Straßen haben, ist bestenfalls naiv. Manches Problem hätte man eleganter lösen können. Beispiel: Der Verfassungsschutz muss den Werbefuzzy Haas aus seinem bequemen Leben kegeln und ihn mürbe machen, damit er bereit ist, als V-Mann zu arbeiten. Dazu stellt der Film die Schlapphüte als so ziemlich allmächtig dar. Sie üben Druck auf seinen Arbeitgeber aus, kündigen ihm die Wohnung, und der Gipfel ist der Transfer seines Vermögens auf ein Schweizer Sperrkonto. Warum so umständlich? An dieser Stelle dachte ich "jetzt noch einen Bank-Run, und dann ist er reif". Wäre es unrealistisch gewesen, anzunehmen, dass in der neuen Wirtschaftskrise auch wieder Banken pleite gehen? Der Film geht noch an einigen anderen Stellen die selbst eingeschlagenen Wege nicht konsequent zu Ende, und das werfe ich ihm vor.

Anja Kling (die bessere Hälfte der beiden Kling-Schwestern) spielt im Film die Verfassungsschutzbeamtin Linda Jehnert. Man muss sagen, die Rolle der taffen VP-Führerin (also Führungsperson von V-Leuten), abseits ihres Rollenklischees, steht ihr gut. Im Nachgang blieb mir ein Filmzitat von ihr hängen: "Du bist nicht gefährlich, im Gegensatz zu mir". Wie recht sie damit hatte! Für die Rolle des Rolf Haas musste man wohl Masochist sein. Die ganzen drei Stunden über wird Benno Fürmann immer mal wieder ertränkt, beinahe überfahren, beschossen, verprügelt oder anderweitig gefoltert. Alles ohne dass er sich jemals wehren würde. Rolf Haas muss ein Verwandter Gandhis sein. Marie Bäumer schrappt als seine Filmpartnerin nur knapp an der Fehlbesetzung vorbei. Immerhin, gegen Ende, und dann aber für nur kurze Zeit, erinnert sich ihr Charakter daran, dass sie mal MEK-Beamtin war.

Schaut man sich mal die Reaktionen im Internet an, dann fällt auf, dass alle politischen Lager etwas an "Die Grenze" zu meckern haben. Rechtskonservative Kreise sehen sich mal wieder in die Nazi-Ecke gerückt und die Linken als Heilsbringer dargestellt. Umgekehrt schimpfen die Linken in ihren Internetforen, dass im Film Linke und Rechte unzulässig gleichgesetzt würden (u.a. wollen beide Parteien MeckPomm abspalten), offensichtliche Assoziationen zwischen der "alten" Linken und der filmischen "Neuen Linken" und ihrem merkwürdigen Parteiprogramm geweckt würden, der Sozialismus diskreditiert und überhaupt die Rechten zu gut wegkommen würden. Interessanterweise könnten sich beide Lager darauf einigen, dass der Film ein durchsichtiger Versuch des Evil Empire, also des Bertelsmann-Konzerns ist, die Herrschaft des Establishments in Deutschland zu sichern. Mithin sei jede einzelne Zeile des Drehbuchs so von Bertelsmann-Spindoktoren manipuliert worden, dass in hinterhältiger Art und Weise sublime Botschaften an das Publikum transportiert werden. "Geht nicht demonstrieren, denn Ihr seht, das ist gefährlich. Bleibt zu Hause auf dem Sofa. Vertraut auf die Weisheit der gewählten Volkvertreter. Legt euch nicht mit uns an. Wir können auch schmutzige Tricks anwenden, aber wir sind ja die Guten". Man kann das glauben oder auch nicht. Linke und Rechte sind sich wohl tatsächlich manchmal ähnlicher, als sie sich das gegenseitig eingestehen würden. An die große bertelsmannsche Super-Verschwörung kann man offensichtlich auf beiden Seiten des politischen Grabens glauben. Ich würde sagen, der Film gibt sich Mühe, keine eigene abschließende Wertung abzugeben. Obwohl am Ende die Linken gewinnen und MeckPomm sozialistisch wird, heißt das nicht, dass der Film keine kritischen Töne dazu liefern würde. Einmal über Linda Jehnert, die zwar alle ihre Aufträge während des Films nach bestem Wissen abarbeitet, aber durchaus eine eigene Meinung hat zu dem, was sie tut. Zum anderen über direkte Anschauung. So richtig glücklich scheinen die Bewohner der DDR 2.0 nicht zu sein, wie sich bei der Wiedergeburt von Plaste und Elaste zeigt.

Dass man sich traut, endlich mal zur besten Sendezeit ein heißes Eisen anzupacken, dafür ist Sat.1 zu loben. Das politische Szenario ist Murks. Streckenweise kommt immerhin so eine Art Agentenfilm-Feeling auf, wenn Haas und Jehnert auf kreative Art und Weise Kontakt aufnehmen (Feind hört mit!). Das sonstige Beiwerk des Films ist wohl den Anforderungen des Privatfernsehens geschuldet und schwankt zwischen "nett aber nutzlos" (die Story von Haas und seiner Exfreundin) und "peinlich" (das Gesülze von den Elfen zur Beruhigung der Tochter).

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