Überrollt

„Überrollt“ steht vorne auf dem Cover. Darunter: „Ein Trainspotter-Krimi“. Das ist was Neues. Das hat noch keiner probiert. Ein Krimi, der in der Welt der Eisenbahnfreaks, der Fotografen und Forenbenutzer spielt. Erschienen ist er im Selbstverlag als Book on Demand.

Der Autor Harald Hechler ist offensichtlich ein Kenner der Szene, und das macht den Reiz des Buches mit aus. Zentral für die Handlung ist ein Forum namens „Lokschuppen Online“. Das ist eine ziemlich unverhüllte Anspielung auf „Drehscheibe Online“, das zentrale Sammelbecken für alle, die in Deutschland über die große Eisenbahn diskutieren wollen, auf dem Laufenden bleiben wollen oder als Fotografen an den Strecken stehen. Ich selbst nutze DSO ja hauptsächlich lesend und würde mich eher in der Techniker- bzw. Betriebsbahner-Ecke verorten. Die „Trainspotter“ bleiben mir eher fremd. Ich verspüre jedenfalls keinen Drang, mich stundenlang mit einem Stativ an ein Bahngleis zu stellen. Trotzdem nutze ich die fotografischen Ergebnisse aber gerne, um mich über das aktuelle Betriebsgeschehen zu informieren.

Insgesamt kann ich sagen: Die Charakterisierung der Forenbenutzer und der Eisenbahnfreunde überhaupt ist Hechler gut gelungen. Er spielt auch ziemlich gut auf der Klaviatur aus Cliffhangern, jähen Wendungen, Lichtblicken und Schwarzen Löchern. Kommt der Mörder womöglich aus dem engsten Umfeld des Protagonisten? Zwischendurch gibt es auch was fürs Herz. Die Botschaft ist: Selbst für den Topf eines Eisenbahnverrückten gibt es da draußen einen Deckel. Das Leben kann so einfach sein… Und nicht zuletzt lässt Hechler es kräftig krachen. Mehrfach werden Leute vom Zug überrollt, Autos und Lieferwagen durch Lokomotiven zerlegt. Bei ihm muss der Notfallmanager ordentlich Überstunden machen.

Jenseits der reinen Krimi-Unterhaltung wird sogar ein ernstes Thema angeschnitten. Nämlich die Frage, ob man wirklich jedes Lokomotiv-Bild mit Datum und Zugnummer im Internet veröffentlichen muss. Damit wird nämlich das Zugpersonal rückverfolgbar. Mir ist auch schon mal so ein Thread in DSO über den Weg gelaufen, wo dann auf dem Bild ein Stinkefinger aus dem Führerstandsseitenfenster gehalten wurde. Und natürlich fanden sich Zeitgenossen, die sowas selbstredend dem Arbeitgeber petzen würden. So ein unfreundlicher Tf gehöre schließlich aus dem Fahrdienst entfernt. Prost Mahlzeit. Natürlich sollte sich ein Lokführer darüber bewusst sein, dass er mehr oder weniger ständig im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht. Andererseits sollte man anderen Menschen nicht ohne Not arbeitsrechtliche Probleme einbrocken.

Das Buch hat mich gut unterhalten, ein paar ganz kleine Kritikpunkte habe ich aber. Die Polizei agiert für meinen Geschmack etwas hilflos. Wir reden hier über Kapitalverbrechen. Da kann man schonmal einen Beschluss zur Herausgabe einer IP-Adresse erwirken. Und für ein perfektes Bucherlebnis hätte es noch einen Tick mehr Lektorat geben sollen. Für einen Nachwuchsschriftsteller ist das Ergebnis aber bereits in der ungeschliffenen Fassung überdurchschnittlich.

Dieser Beitrag wurde unter Uncategorized veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.